Universität Wien Arkadenhof - © Foto: APA / Claudia Pietrzak

Psychotherapie-Ausbildung: Zwischen Kunst und Klinik

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Ab Herbst 2026 soll die Psychotherapie-Ausbildung an den öffentlichen Universitäten verankert sein. Die Akademisierung dieser Disziplin führt derweil zu gemischten Gefühlen.

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Ab Herbst 2026 soll die Psychotherapie-Ausbildung an den öffentlichen Universitäten verankert sein. Die Akademisierung dieser Disziplin führt derweil zu gemischten Gefühlen.

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Sigmund Freud, Alfred Adler und Viktor Frankl sind die großen Wiener „Marken“ in der Wissenschaft vom weiten Land der Seele. Binnen weniger Jahrzehnte begründeten sie weltweit attraktive Theorien und Behandlungsansätze (Psychoanalyse, Individualpsychologie, Logotherapie) – und revolutionierten damit auch das moderne Bild vom Menschen. Ihre therapeutischen Innovationen wurden außerhalb der universitären Strukturen vorangetrieben. Vor allem Freud und Adler entwickelten ihre Ansätze als selbstbewusste Pioniere und unbeugsame Einzelkämpfer; von der Wiener Universität wurden die beiden Forscher tendenziell marginalisiert. Das ist ein historischer Grund, warum die psychotherapeutische Ausbildung von privaten Vereinen angeboten wird – im Gegensatz zu anderen stark wissensbasierten Berufen wie Arzt, Anwalt oder Architekt, bei denen eine universitäre Ausbildung selbstverständlich ist.

Doch im Jahr 2024 schlägt nun auch den angehenden Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen die Stunde der Akademisierung. Mitte April wurde im Nationalrat das neue Psychotherapiegesetz beschlossen, das die bisherigen gesetzlichen Grundlagen aus dem Jahr 1990 ersetzt. Damit wandert die Ausbildung ab Herbst 2026 an die öffentlichen Universitäten und Fachhochschulen. An ein fachlich passendes Bachelorstudium (zum Beispiel Medizin, Psychologie, aber auch diplomierte Gesundheits- und Pflegeberufe) wird ein zweijähriges Masterstudium für Psychotherapie anschließen. Dritter Ausbildungsteil ist eine postgraduelle Fachausbildung bei Psychotherapeutischen Fachgesellschaften, während der die Studierenden bereits unter Supervision arbeiten können.

Soziale Zugänglichkeit

Ein gängiges Argument für die Akademisierung ist die Bereinigung des „Wildwuchses“, wie die heimische Ausbildungssituation zuweilen bezeichnet wird. Während etwa in Deutschland nur fünf wissenschaftlich ausgewiesene Verfahren zugelassen sind, gibt es hierzulande 23 anerkannte Psychotherapie-Schulen und 43 Fachgesellschaften, die in der Ausbildung aktiv sind. Zudem gibt es private Hochschulangebote wie zum Beispiel seit 2005 an der Sigmund Freud Privatuniversität in Wien. Auch die soziale Zugänglichkeit ist ein großes Thema: Bisher verursachte die Ausbildung Kosten zwischen 25.000 und 50.000 Euro; mit dem neuen Gesetz sind zumindest Bachelor und Master kostenfrei zu erwerben – vorausgesetzt man ergattert einen der 500 Plätze, die dafür geschaffen wurden.

Oliver Vitouch sieht darin einen „echten Meilenstein“: Mit der Akademisierung der Ausbildung sei eine große Reform zwischen Gesundheits- und Wissenschaftsministerium gelungen, so der Präsident der Universitätenkonferenz (uniko). Er hofft, dass dies bald nachhaltig zu einer besseren psychosozialen Versorgung, vor allem bei Kindern und Jugendlichen, beitragen werde. Doch nicht für alle ist die Reform ein Grund zur Freude. So äußerte der Bildungswissenschaftler und Psychoanalytiker Josef Christian Aigner bereits letztes Jahr seine Zweifel in der FURCHE: „Kritiker(innen) sprechen allgemein von ‚Akademisierungswahn‘, der die ganze neoliberale Bildungspolitik durchzieht. Und wenn ‚Hinz und Künzin‘ heute für alles Mögliche einen Bachelor oder Master bekommen, warum soll man das den Psychotherapeut(inn)en vorenthalten? Damit aber trifft die Strategie, Bildungsqualität an ein ‚universitäres Mascherl‘ zu binden, nun eine Profession, deren Erlernen (…) ein Maximum an persönlichkeitsbildender, selbstreflexiver Bildung verlangt. Ebenso wie Zeit und Raum für Diskurs und kollegialen Austausch. Können Universitäten das heute bieten?“

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