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... wie einen Bauchladen

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Eine persönliche Bemerkung voran, obschon der Bürger eines demokratischen Staates niemand eine Erklärung schuldet, wenn er, über Urnengänge hinaus, an der Demokratie teilnimmt. Das gilt auch für Parteibuchtoesitzer. Der Präsident des „österreichischen Kulturgespräches“ hat mich eingeladen, hier in Klagenfurt eröffnende Thesen zum Thema „Massenmedien“ unter dem Generalthema „Kunst und Macht in Österreich“ vorzutragen. Dieser Einladung kann ich um so freizügiger folgen, als auch Funktionäre jener Partei, der ich als gewöhnliches Mitglied angehöre — manche meinen als „nützlicher Idiot“ — an den Kulturgesprächen regelmäßig partizipieren. Dann klingt mir auch ein Ausspruch des Vorsitzenden meiner Partei nach: „Die Partei ist kein Kasernenhof“.

Vielleicht ist das, was meine Partei nicht ist und keine Partei sein sollte, am Ende noch irgendwo unser Staat? Die Frage scheint im Hinblick auf das Generalthema nicht abwegig: im Hinblick auf mein Spezialthema drängt sie sich geradezu auf: Wenn ich das Massenmedium Rundfunk (Hörfunk und Fernsehen) aufs Korn nehme, dann kann ich eigentlich nur eine These aufstellen: in unserem Staat ist dieser Bereich noch ein Kasernenhof — das Kommando führt die Politik.

Ich sage absichtlich Politik und nicht Politiker, um niemand schon am Anfang meiner Darlegungen möglicherweise zu vergrämen.

Zu den Politikern, die in meiner Darstellung leider die Hauptrolle spielen, noch eine Bemerkung: Meine Kritik enthält keine Abwertung der Politik, der Parteien oder der Politiker, auch nicht hintergründig, weil dies nicht meiner Anschauung entspräche.

Zurück zu meiner These: Die Macht über das Medium Rundfunk hat die Politik — haben die Politiker. Ich stehe zu dieser Gewagtheit, denn ich verfüge über ein ganzes Arsenal von Beweisen. Hier eine kleine Musterschau — wem sie nicht genügt, der kann jederzeit mit Nachlieferungen rechnen: ,

• Schon 1945 — mit d£n Zeiten vorher will ich mich nicht befassen — griffen die politischen Parteien in Person ihrer Machtträger nach dem nun wieder österreichisch gewordenen Rundfunk. Dieser Griff war damals durchaus legitim. Auch die KPÖ hatte an ihm Anteil: ihre Domäne war die „Russische Stunde“. Die Macht über diese exekutierte im wärmsten Einvernehmen mit der Besatzungsmacht der Parteisekretär Fürnberg.

• Die politische Umklammerung des Rrmdftmks in der Koalition -ära wurde immer atemberaubender: die ÖVP setzte den gelernten Parteifunktionär und ehemaligen Lehrer, nicht aber Medienfachmann, Josef Scheidl an die Spitze des Unternehmens. Als dann der „große alte Mann“ der Partei, Julius Raab, ganz im Geiste des „guten Kaisers Franz“ über das Fernsehen befand: „Dös Büldl-g'spül wird sich a net halt'n“, sprang der „Pittermann für jedermann“ in die Bresche und erhob über den Umweg eines amerikanischen Schnellsiedekurses den ehemaligen Franz Joseph der unvergeßlichen „Sissy“-Auffüh-rungen des Badner Stadttheaters, Gewerkschaftsfunktionär und Vizebürgermeister der einstigen Hofstadt an der Schwechat, Gerhard Freund, zum Fernseh- und Rundfunkvorstandsdirektor. (Es gab noch zwei andere Direktoren, aber die hatten wenig zu schaffen: es waren die Fachleute Üfoel-hör und Füchsl.)

Schon im schwarz-roten Pro-porzrundfunk war das Betriebsklima keineswegs rosig: es roch in allen Winkeln nach Kasernen -hof. Die am ärgsten Geschundenen waren die „freien Mitarbeiter“, die Kulturschaffenden in Rundfunk und Fernsehen. An ihrer Deklassierung hat weder die Reform, noch die Reform der Reform auch nur das geringste geändert. Diese Feststellung ist eine Anklage: sie gehört auf die Tagesordnung eines jeden Gespräches, das sich „Kulturgespräch“ nennt, und zwar solange, bis wirksame Abhilfe geschaffen ist.

Da ich auch Parteitage und Parteikonferenzen gelegentlich als „Kulturgespräche“ mißbrauche, habe ich am 25. November vorigen Jahres, legitimiert durch den Umstand, daß mich der Bundeskanzler seinerzeit als Interessenvertreter der „freien Mitarbeiter“ in seine Rundfunkreformkommission geholt hat, im Wiener Sophiensaal erklärt: „Die Lage der ,freien Mitarbeiter', jener 15.000 kreativen Österreicher, die in der Hauptsache die Radio- und Fernsehprogramme machen, ist moralisch und materiell verunsichert wie nie zuvor. Darum habe ich an Genossen Kreisky geschrieben, und er hat mir bestätigt: ,Das von Ihnen angeschnittene Problem ist sehr diffizil und hat, wie ich zugeben muß, im Rundfunkgesetz, J974., fcejne, ftuT ;, . j f^iedenstellende, JlegeluJ?g./erfJa&jm ren.' Ich lchup'fte an 'das Zitat “die Bemerkung: ,Ein diffiziles Problem löst man nicht, indem man es jahrelang wie einen Bauchladen vor sich herschiebt.'“

• Und weiter zur Parade meiner Beweise: Schon der Proporzrundfunk löste nicht nur innerbetrieblich, sondern landweit Unbehagen aus. Also erbastelte die Gewerkschaft als erste das Modell einer Rundfunkreform. Dann kam die sogenannte „Unabhängige Presse“ — wer ist schon „unabhängig“ in diesem Lande und im Leben? — und inszenierte ihr „Volksbegehren“: eine durchaus positive Aktion, wenn man von Details absieht. Das Rundfunkvolksbegehren ist mein Kronzeuge: es wollte die Macht der Politiker einschränken. Über 800.000 Österreicher haben damals bekundet, daß sie diese Machtfülle über ihr wichtigstes Massenmedium nicht wünschen.

• Als die ÖVP dann zur Alleinregierung kam — durch den Bruderzwist im Hause Pittermann —, ließ sie ihr Rundfunkgesetz mehrheitlich beschließen; sie hat dies in verhältnismäßiger Eile getan. Dieses Gesetz aber stand zum Volksbegehren, auf das es sich stützte, in einem zumindest stellenweise gravierenden Gegensatz. Die mächtigen Männer der Alleinregierungspartei setzten den Mann ihres Vertrauens, Bacher, an die Spitze des zum ersten Mal reformierten ORF. Abgedeckt war die Bachermacht für Jahre durch die unerschütterliche Mehrheit der Alleinregierungspartei im ORF-Aufsichtsrat.

• Nach der großen Wachablöse 1970 und 1971 währte es erstaunlich lange, bis die neue Alleinre- gierungspartei, die SPÖ, die Probleme des Rundfunks in Angriff nahm. Sie entschloß sich schließlich zu einer Reform der Reform. Das neue von ihr mehrheitlich beschlossene Rundfunkgesetz ist entfernt so etwas wie ein Nachhall des Volksbegehrens, nur mit störenden Verzerrungseffekten. So wie es zwischen Volksbegehren und altem Rundfunkgesetz die Gegensätze gab, so stellten sich zwischen dem neuen Rundfunkgesetz und seiner Exekutierung — milde formuliert — die Differenzen ein. Die mächtigen Männer der nunmehrigen Alleinregierungspartei setzten im Zuge der zweiten Rundfunkreform den Mann ihres Vertrauens — treffender: den Mann, dem sie ihr Vertrauen schenken zu müssen vermeinten —, Otto Oberhammer, an die Stelle Bachers. Abgedeckt wird die Oberhammermacht zur Zeit noch durch die keineswegs ganz so unerschütterliche Mehrheit im ORF-Kuratorium.

Dieses Kuratorium ist ein wichtiges Glied in einer Beweiskette: Es hat 30 Mitglieder, davon sind 19 Vertreter der politischen Macht (der Regierung, der Länder, der Parteien); 10 davon sind — rigoros gerechnet — Berufspolitiker; Medienfachleute sind bestenfalls fünf: die Betriebsräte, wenn man diese nicht auch der Politik zuzählt, weil sie durch ihre Fraktionen auf die Wellenlänge ihrer jeweiligen Partei abgestimmt sind. Die Kultur ist in diesem Gremium, das bedeutende Macht über das größte Kulturmassenmedium ausübt, derzeit überhaupt nicht vertreten. Als Kunstvertreter wurde der inzwischen verstorbene Fritz Wotruba auserwählt — nicht gewählt! Aber er ließ seinen Sessel — ein Dreißigstel der Macht im ORF-Kuratorium — schon zu Lebzeiten verwaist. Der Wotrubanachfolger soll Adolf Frohner heißen, doch dieser blieb bisher in der „Hörer-Seher-Vertretung“, einem auch wieder von oben bestellten Parlament der Vereinsmeier, hängen; für die Entsendung ins Kuratorium fehlt ihm die erforderliche Mehrheit.

Bei der endgültigen Wahl Oberhammers zum Rundfunkgeneral gab es dann den ersten größeren Eklat: da sprang ein Politiker plötzlich aus der Reihe — vielleicht steckt in ihm ein echter Medienfachmann? Also wurde das „Nachfolge-Bacher-Spiel“ mit dem Dirimierungsrecht des Kuratoriumsvorsitzenden, des persönlichen Vertreters der obersten politischen Macht im Lande, entschieden.

Und noch eine Tatsache: Bei der Wahl der ORF-Landesintendanten, die gar keine Wahl ist, können schon kraft Gesetz die neun Landeshauptleute wahrhaft fürstliche Machtworte erlassen. Zwar fordert der Gesetzgeber bei allen hohen und höheren Bestellungen auch fachliche Qualifikationen (für den „Gl“ wurde ein Gummiparagraph von unglaublicher Dehnbarkeit geschaffen): aber da gibt es einen Schulfreund,einen ehemaligen Berufskollegen, einen Logenbruder vielleicht — es kann auch ein Kartellbruder sein . .. Was rührt nicht alles an ein edles Fürstenherz?

Im Schallplatten- und Kassettengeschäft ist die politische Macht nicht so virulent: da dominieren — leider vorrangig — ausländische Kapitalinteressen. Aber beim Kabelfernsehen, das vor der Tür steht, wird das „Spiel der Mächtigen“ wie im ORF bereits weitergespielt: nach gleichem Konzept, nach gleicher Regie.

Der zivile Wunsch nach einer Reform der Reform des ORF (ich habe ihn schon auf der Wiener SPÖ-Parteikonferenz „expressis verbis“ angemeldet) ist heute zu wenig: die Forderung nach einer Revolution in der Medienlandschaft ist fällig!

Auftakte zu einer solchen Revolution könnten sein:

• Die Schaffung einer Kunstoder Künstlerkammer, denn im Kammerstaat Österreich, der ja auch eine Dentistenkammer kennt, sind diejenigen immer noch ohne wirksame berufliche Interessenvertretung, deren Leistungen so gerne in die Staäts-auslage gestellt werden.

• Dann: gründliche Novellierung des Rundfunkgesetzes. Der Herr Bundeskanzler hat die Möglichkeit einer solchen bereits in einem Brief vom Dezember 1974 an mich erwähnt. Ihr Ziel müßte sein: Zurückdrängung des Einflusses der Politik, Einschränkung der Macht der Politiker und Stärkung jener „Eigenverantwortlichkeit und Unabhängigkeit“ der Medienschaffenden, die im Gesetz zwar verbal am Rande erwähnt wird, aber nur durch echte Mitbestimmung und Machtzuteilung effektiv zu werden vermag.

• Schließlich: Erringung einer Rundfunkautonomie, ähnlich der Hochschulautonomie. Radio und Fernsehen sind Hochschulen des ganzen Volkes: also steht auch ihnen Autonomie zu.

Zum Schluß noch ein persönliches Wort, wie am Anfang: Wer mich jetzt wieder als „nützlichen Idioten“ ansieht, möge dies ruhig tun. Auf keinen Fall denke ich ans Auswandern. Auch ein „inneres Exil“ kommt für mich nicht in Frage. Ich werde die Macht, wo immer sie sich schädlich auswirkt, auch weiterhin unter Störfeuer nehmen — ganz abschießen läßt sie sich leider nicht! Dazu verpflichten mich: mein Bürgerstolz 1— heutzutage vielleicht ein Fremdhegriff —, mein in die Öffentlichkeit wirkender Beruf und nicht zuletzt meine christlich motivierte sozial-demokratische Gesinnung.

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