Insel der Beleidigten

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Menschen, die sich beleidigt fühlen, wenn man sie kritisiert oder ihnen unliebsame Dinge sagt, schießen geradezu aus dem Boden.

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Menschen, die sich beleidigt fühlen, wenn man sie kritisiert oder ihnen unliebsame Dinge sagt, schießen geradezu aus dem Boden.

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Als ich ein Kind war, besuchte uns ein Verwandter, der an einer Pinnwand Erlagscheine sah, mit denen mein Vater Geld für Entwicklungshilfe spendete. Daraufhin kam es zum Disput, da der Besucher der Meinung war, Geld für Kinder in Äthiopien zu spenden, sei sinnlos. Schließlich stand er auf und verließ uns mit den Worten, er sei beleidigt, weil mein Vater ihm widersprochen habe.

Dass eine andere Meinung eine Beleidigung sein soll, zeigt einen Mangel an Diskussionskultur und damit an demokratischer Kultur. Schlimmer noch, wenn es nicht um Meinungen geht, sondern um Tatsachen. Alle wissen, warum das Stück „Burgtheater“ der Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek nicht aufgeführt wird. Eine Familie in diesem Land verhindert, dass die Wahrheit über eine ihrer Vorfahren, die antisemitische Propaganda für das NS-Regime machte, thematisiert wird.

Ein anderes Beispiel: Als der Kultursender Arte eine kritische Dokumentation über die Kronen Zeitung ausstrahlte, reagierte diese damit, dass sie das Programm dieses Senders nicht mehr abdruckte. Und wer erinnert sich nicht an die Beschlagnahmung von Thomas Bernhards „Holzfällen“ nach einer Ehrenbeleidigungsklage eines Komponisten? Diese verhalf dem Buch zu einem sensationellen Verkaufserfolg, und Ernst Jandl schrieb damals, man dürfe heute in der Kunst alles, außer Jesus Christus oder Gerhard Lampersberg beleidigen.

Wir sind eine Insel der Beleidigten. Und damit liegen wir in einem heute globalen Trend. Menschen, die sich beleidigt fühlen, wenn man sie kritisiert oder ihnen unliebsame Dinge sagt, schießen geradezu aus dem Boden, und immer mehr gelingt es ihnen, Diskussionen zu verhindern. Das ist eine undemokratische Kultur. Jemandem, der sich von einer Darstellung beleidigt fühlt, ist zu entgegnen: „Ja, und?“

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