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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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MIT EINEM HERZLICHEN GLÜCKWUNSCHTELEGRAMM hat die Oesterreichische Volkspartei den Sieg der britischen Tories über Labour gewürdigt. Mit „Freude und Genugtuung" habe sie den großen Wahlsieg der Konservativen zur Kenntnis genommen. Die Volkspartei erblicke in diesem Wahlergebnis einen Vertrauensbeweis auch für die Prinzipien der „christlich-demokratischen Parteien Europas". Ja, wer den Sieg in der Tasche hat, braucht sich um Gratulanten nicht zu sorgen. Es war einmal eine Zeit, da hatten in England nicht die Konservativen sondern die Labourleute, die Arbeiterpartei, gesiegt. Und da hatte die Volkspartei verwandtschaftliche Beziehungen zu Labour entdeckt. Wann war das? Genau 14 Jahre ist es her. Da empfahl sich diel Oesterreichische Volkspartei zu den ersten Wahlen im Jahre 1945 auf den Plakaten als die „österreichische Labourparty". Was sie wolle, was sie erstrebe, sei nichts anderes, als wes Labour, die siegreiche Labour- regierung von 1945, von England wolle. Die Volkspartei hat damals bei diesen Wahlen im November 1945 die absolute Mehrheit errungen. Seither nicht mehr. Sollte man daraus den Schluß ziehen, daß die Volkspartei nur unter einer Labourlösung, als christliche Arbeiterpartei, erfolgreich sein könne? Vielleicht hiefje das zu sehr vereinfachen. Zu sehr vereinfacht scheint es auch, wenn heute die Volkspartei die Konservativen mit „christlich-demokratisch" apostrophiert. Unter den geschlagenen Labourkandidaten waren nicht wenige englische Katholiken, die sich — England ist nicht der Kontinent — in ihrer großen Mehrheit zu dieser Partei bekennen. Wie war das 1945? War damals die OeVP eine Labourpartei und ist sie heute eine konservative Partei? Ach: 1945 siegte in England die Arbeiterpartei und 1959 die Konservativen. Und wer siegt morgen?

OLAH KLERIKALER ALS MALETA! Mit diesem Fanfarenstoß wollte die kommunistische „Volksstimme" den Klubobmann der Sozialisten und Gewerkschaftspräsidenten Olah wieder einmal bei seinen eigenen Genossen denunzieren. Schaut sie euch an, die neue SPOe-Führung! Wie sie die Kulturkampfbastionen des Proletariats räumt, wie sie klerikale Ueberheblichkeiten nicht zurückweisf, sondern ihnen sogar entgegenkommt! Ist sie nicht klerikaler selbst als die Volkspartei? Gemach, gemach! Wozu der Lärm? Die Klubobmänner der Parlamenfsfraktion sprachen vor einer Woche zu den Parlamentsredakteuren über die Wünsche ihrer Parteien an die kommende Parlamentssession. Zu den Problemen, die nach Meinung der Sozialisten rasch erledigt werden müssen, gehören, so sagte Präsident Olah, auch die Regelung der ver- mögensrechflichen Ansprüche der Religionsgemeinschaften. Es handelt sich bekanntlich um eine Dauerregelung für Entschädigungen an die katholische, die evangelische und die altkatholische Kirche. Durch ein Provisorium wurden den Kirchen für die Jahre 1958 und 1959 gewisse Summen zugesprochen, die als Entschädigung für die während der nationalsozialistischen Zeit entzogenen Rechte und Vermögenschaften dienen sollen, wozu Oesterreich schon auf Grund des Staatsverfrages verpflichtet ist. Eine endgültige Regelung, die, was die katholische Kirche betrifft, die Zustimmung des Heiligen Stuhles erfordert, ist noch ausständig. Darüber wird verhandelt, und zwar vom Außenministerium. Die Denunziation der „Volksstimme’, Olah sei klerikaler als Malefa, wird auch bei den Arbeitern nicht verfangen. Denn auch bei ihnen sind die Kirchensfürmer zur Seltenheit geworden. Vielleicht finden sie sich noch unter den Lesern der „Volksstimme.

ÜBERRASCHUNGEN AM LAUFENDEN BAND haben am letzten Wochenende die Arbeiterkammerwahlen gebracht. Die auffallendste Erscheinung war die niederschmetternd geringe Wahlbeteiligung, die in einzelnen Zonen unte.- 50 Prozent der Wahlberechtigten lag. In Wien verloren OeAAB und Sozialisten an Stimmen, mandatsmäßig dürften der OeAAB die Stellung gehalten, die Sozialisten sogar leichten Zuwachs erhalten haben. In Wien schnitten auch die Parteitreien am besten ab, die in den Ländern Verluste buchen mußten. Allgemein konnte die FPOe, auch auf dem Land, ihre Position gegenüber 1954 verbessern. In den Bundesländern verloren die Sozialisten in Hochburgen gänzlich unvermutet wichtige Positionen: bei den Linzer Stickstoffwerken überflügelten die Parteifreien mit 1183 Stimmen die Sozialisten 883, in Vorarlberg verlor die SPOe die absolute Mehrheit, indem sie mit 24 Mandaten früher 25 jetzt gegenüber 20 OeAAB 18, 5 FPOe 3 und 1 KPOe 1 mit 2 Mandaten im Rückstand ist. Allgemein konnte dagegen der OeAAB in den Ländern starke Stimmen- und Mandafsgewinno buchen, während sich die Abwärtsbewegung der Kommunisten intensiv fortsetzfe. Für die Politik der Oesterreichischen Volkspartei dürfte der Wahlausgang wichtige Hinweise liefern.

DIE WAHLEN IN BREMEN. Bei den am letzten Sonntag in Bremen abgehaltenen Wahlen für das Landesparlamenf errang die SPD die absolute Mehrheit, die CDU verlor die Hälfte ihrer Stimmen. Dieser Wahlsieg ist gewiß auch ein Erfolg des sehr populären Bremer Senafspräsi-denten Kaisen, der seit 1945 Regierungschef und Parteiführer der SPD in Bremen ist. und sehr frei und unorthodox den Sozialismus interpretiert. Kaisen hat denn auch gleich nach den Wahlen sich für eine Beibehaltung der Koalition mit der CDU und FDP ausgesprochen und erklärt, die CDU und FDP hätten ihr ungünstiges Abschneiden nicht verdient, da sie viel für den Wiederaufbau Bremens beigefragen hätten. Der Sieg der SPD in Bremen ist gewiß kein Sieg Ollen- hauers und der Bonner sozialdemokratischen Parteibürokratie, er ist aber auch kein Sieg Adenauers: Der Ueberfritf mehrerer CDU-Ab- geordneter im letzten Jahr zur DP hängt mit einem gerade in norddeutschen Kreisen verbreiteten Mißbehagen gegen die „eiserne" Politik des Kanzlers, nicht zuletzt gegen sein Verhalfen bei der Bundespräsidentenwahl zusammen. Ein der CDU nahestehendes deutsches Blatt weisf darauf hin, daß die CDU die Bremer Niederlage bagatellisiere, indem sie diese durch kommunistische Sfimmenzuwanderung zur SPD erkläre, da es in Bremen kaum Kommunisten gäbe. „Bremen" darf nicht überschätzt, als Symptom aber verdient es beachtet zu werden. Neben diesem Erdrutsch im kleinen könnten sonst eines Tages Erdrutsche im großen treten. Nach Adenauer.

HAMMER, ZIRKEL, ÄHRENKRANZ. Mit großen Feiern hat das Regime von Pankow den zehnjährigen Bestand der „DDR" gefeiert. Die Bundesrepublik Deutschland gedachte des „Geburtstages” im Bundestag und in der Oeffenf- lichkeit voll Trauer. Westdeutschland ist zudem durch den Streit um die Symbole der DDR erregt worden. Zwei Tage lang wehten auf den der ostzonalen Verwaltung unterstehenden Westberliner S-Bahn-Höfer, die neuen Fahnen der DDR, die aut schwarz-rot-goldenem Grund Hammer, Zirkel und Aehrenkranz zeigen. Diese neue Fahne und der Streit um das in der Bundesrepublik amtlich nicht geduldete Wort DDR haben selbst zu einer Reihe von Zwischenfällen geführt. Bei den Radweltmeisterschaften in Stuttgart wurde am 10. Oktober zum erstenmal die Fahne der DDR offiziell gehißt. Von den Veranstaltern wurde vor den Behörden behauptet, daß die DDR offizielles Mitglied des Radrennverbandes sei und andere östliche Staaten ihre Mannschaften zurückzögen, falls diese Fahne eingezogen würde. Tragikomisch war der Frankfurter Fall. Die achtzig Verlage der DDR zogen ihre Bücher von der Frankfurter Messe zurück, da man ihrem Bücherstand die Herkunftsbezeichnung „Bücher aus der Deutschen Demokratischen Republik" nicht zu- gestfehen Wollte.“ Eine süddeutsche Zeitung kommentiert diesen Vorfall: „Die Spaltung der deutschen Literatur, die nicht die geringste Ursache ihrer mangelnden Geltung auf dem Weltmarkt ist, schien wenigstens auf der Buchmesse aufgehoben .. . Einst träumten wir von Weltliteratur. Jetzt ist sogar die gesamtdeutsche Literatur an genau drei Buchstaben gescheitert. Dieser Frankfurter Fall beleuchtet vielleicht am grellsten die Kluft, die heute durch Deutschland geht: wobei hüben und drüben eifrig Kräfte am Werk sind, sie von Jahr zu Jahr zu vertiefen.

EXTRA HUNGARIAM… Der bekannte französische Soziologe, Professor Alfred Sau vy aus Paris, verbrachte einige Tage in Ungarn. Seine Eindrücke faßte er in der Pariser Wochenzeitung „L’Express wie folgt zusammen: Das Problem in Ungarn heißt nicht Kommunismus, sondern Russen, und die Ungarn fühlen sich mit dem Westen, nur mit dem Westen verbunden. Die Beweise: Während der ganzen langen Zeit des Horthy-Regimes wurden in Ungarn nicht annähernd so viele Kommunisten hingerichtet wie während der Herrschaft des Kommunisten Ra- kosi. „Revisionismus hieß und heißt auch heute noch die Todsünde, wenn ein Kommunist sich von den Russen abwendef. Dann berichtet der Professor von der anderen Seife. Eine weibliche Person gestand ihm zerknirscht und voller Demut: „Bedenken Sie, Monsieur, man sieht hier noch kaum steife Unferröckel’ Dieses modische Kleidungsstück sollte den Maßstab westlichen Kulfureinflusses — und nicht nur das — darstellen. Soweit Monsieur Sauvy. Die Sache wäre jedoch ernstlich zu überlegen. Denn es ist erst einige Jahrzehnte her, da in Ungarn die Mode — die weibliche wie die politische — sich noch nicht ausschließlich im Spannungsfeld zwischen Ost und West befand. Es gab noch eine Lebensart und eine Weltauffassung in diesem Land, die nicht weit von dem alten, vielbespotteten Ausruf entfernt waren: „Extra Hun- gariam non est vifa…" Wie anders heutel Die ganze herrlich-naive Sicherheit und Selbstüberschätzung des Orbis hungaricus ist dahin. Die Welt ist groß und voll finsterer Gefahren. Die Russen werden — und nicht etwa, wie in Polen, Russen und Deutsche zusammen — als alleinige Verderbnis befrachtet. Alles Licht kommt plötzlich vom Westen — und wenn es nur duftige, unnütze Petticoats sind. O tempora, o mores!

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