„Geschichte kann man nicht sehen, ebenso wie man Gras nicht wachsen sieht...“ Diesen Satz von Boris Pasternak, dem verfemten russischen Nobelpreisträger, könnte man einem ausländischen Besucher sagen, der das Österreich der 50er und 60er Jahre kannte und nun wieder am Ende der 70er Jahre zurückkehrt.In der Tat sind Veränderungeh der gesellschaftlichen Situation in Österreich aufs erste nicht ins Auge springend. Man muß ein wenig tiefer sehen, um zu erkennen, wie sehr der ideologische Untergrund, auf dem die moderne industriestaatliche Realität aufbaut, verschoben ist. Und 13 Jahre
Am 1. März 1970 hat zum erstenmal die österreichische Wählerschaft in der Zweiten Republik einer sozialistischen Partei eine Mehrheit gegeben. Die Volkspartei steht seit März 1970 in Opposition. Heute, auf den Tag genau vier Jahre später, präsentiert sich die oppositionelle Volkspartei auf einem Parteitag, der als Auftakt zur Wiedererringung der Mehrheit konzipiert war, aber zur schonungslosen Personalkritik mißraten ist.
Daß US-Außenminister und Nobelpreisträger Kissinger als Friedensreisender zwischen Washington und Moskau, Peking und Tel Aviv pendelt, ist derzeit das spektakulärste Beispiel einer in aller Welt ein-und ausgeübten Form des Ma&sen-tourismus, den die Politiker mit dem schönen Vokabel Besuchsdiplomatie zu umschreiben pflegen.Tatsächlich: noch ist nie so viel gereist worden. Nicht nur von den Staatsoberhäuptern und Außenministern, die ja von Berufs wegen herumfahren, sondern auch von Landwirtschafts-, Heeres- und selbst Innenministern, deren Auslandskontakte erst eine Rechtfertigung
Ein neuer Staatssekretär im Bundeskanzleramt tritt an. Er ist bereits der siebente, den sich die beiden Bundeskanzler Klaus und Kreisky seit 1966 zu ihrer Unterstützung holten, während in der Koalitionsära vorher Staatssekretäre nur so etwas wie politische „Aufpasser“ gewesen sind, die wechselweise zum Austarieren der beiden großen „Lager“ eingesetzt wurden.•-Tf'. -Seinerzeit war der erste dieser Staatssekretäre im Bundeskanzleramt, nämlich Karl Gruber, für den Sachbereich „Verwaltungsreform“ ausdrücklich bestellt worden. Der letzte ist nunmehr zur Entlastung des
Die neuen ÖVP-Statuten, die vom Parteitag im Herbst beschlossen werden sollen, bieten eine echte Überraschung. Parteiobmann Karl Schleimer hat mit ihnen offensichtlich einen erstaunlichen innerparteilichen Erfolg errungen.Damit ist eine weitere Runde im ÖVP-Clinch an Schleimer gegangen: Hatte doch zuerst der Generalsekretär den Vorsitz im Statutenausschuß eingenommen und hatte man Schleimer gerade an der Statutenfront keinen Sieg zugemutet; vielmehr gab es zahlreiche Schleinzer-Gegner innerhalb der Führung der Volkspartei, die gerade die Statuten als Tummelfeld „heiliger Kühe“ für
Vor einer Woche wurde in dieser Zeitung die Frage gestellt, wer — zu Ende dieser Legislaturperiode — einen Offenbarungseid ablegen müsse: die Regierung oder die Opposition.Nachdem nun sogar ein Sonntag, an dem Österreichs Wählervolk Alte Donau, Strandbäder und Seen übervölkerte, zum Kehraus (und zur Selbstbewilligung höherer Bezüge) herhalten mußte und solcherart Fleiß fernsehgerecht demonstriert wurde, nachdem aber auch die Opposition eine weitere Juli-Sitzung zur Beratung des EWG-Arrangements gefordert hat, muß vorweg einmal festgestellt werden: Das Parlament als Institution
Vorrang für den Wohnbau in Österreich? Das stand letzte Woche im Mittelpunkt der parlamentarischen Auseinandersetzung, wobei die Verabschiedung einer Novelle zum Wohnbauförderungsgesetz der offizielle Anlaß dazu war.Tatsächlich ist die Frage angesichts der Versprechungen und Absichtserklärungen sowohl vor den beiden letzten Nationalratswahlgängen als auch noch in der Regierungserklärung berechtigt — anderseits ist es in der derzeitigen konjunkturellen Lage nicht sonderlich zweckmäßig, die Bauwirtschaft noch stärker anzukurbeln — abgesehen davon, daß die Fertigstellung von
Der Europäer der Zukunft: Ein Mensch, der in geschlossenen Stadtlandschaften lebt, sich mit Millionen anderer Menschen in heute noch nicht konstruierten Fahrzeugen an seine Arbeitsstätte begibt, die nicht mehr eine verrußte Fabrik ist, sondern ein klinisch sauberes technisches Büro — das ist die Vision der Futurologen, jener Wissenschaftler, die sich mit der Zukunft, ihren Erwartungen und Problemen beschäftigen. Diese Futurologen sind heute schon in unzähligen wissenschaftlichen Bereichen tätig. Private und öffentliche Institutionen bedienen sich ihrer Kenntnisse und Methoden. Und was sie sagen, ist nicht Kaffeesud oder Astrologie, es sind von Computern hochgerechnete Eingaben aus unserer Gegenwart.
Ab die Techniker für die Weltraumprojekte der USA neue Legierungen für Raketen suchten und neue Werkstoffe erprobten, konnten sie nicht wissen, daß schon in Kürze auch die Hausfrauen in aller Welt in ihren Bratpfannen eben jene Beläge vorfinden würden. Auch dachten sie nicht daran, daß etwa die Skifirmen gewisse Werkstoffe der Saturn-Raketen für superleichte Skier verwenden würden.
Werden wir in zwanzig Jahren in Europa in einer großen Stadt leben? Wird sich dort, wo heute noch Dörfer und Landstädte sind, ein Gürtel der Industrie befinden, Ballungszentren einer urbanisierten Arbeiterschaft? Der Prozeß der Verstädterung geht unaufhaltsam weiter. Die bäuerliche Bevölkerung wird immer kleiner; neue Industrien brauchen neue Voraussetzungen: Labors und Technologieschulen treten an die Stelle herkömmlicher Lehrlingsausbildungsstätten. Die Stadt wird zum tragenden Element Europas. Sauberkeit und Erholung werden neben neuen Formen der Gesundheitspflege in den kommenden zwanzig Jahren entscheidende Fragen des Lebens in den neuen Siedlungen sein. Aber der Verkehr wird zur eigentlichen Entscheidungsfrage des Zusammenlebens für die Stadt der Zukunft.
Rund 450 Millionen Menschen leben heute zwischen Atlantikküste und Weichsel, zwischen dem Nordkap und Sizilien. 450 Millionen Europäer (ohne die Bewohner der Sowjetunion) leben in einigen Millionenstädten, in Kleinstädten, in Dörfern, ja in Weilern und in der Einschicht Noch steht ein vorwiegend agrarischer Süden des Kontinents dem industrialisierten Norden gegenüber. 1988 werden in Europa schon 550 Millionen Menschen leben; in einigen Ländern wird das Durchschnittsalter der Bevölkerung auf etwa 20 Jahre herabgesunken sein. Und schon in 30 Jahren — also im Jahr 2000 — wird es 600 Millionen Europäer geben.
Als Erhard, der Deutschen Wunderkanzler, zu Ende des Jahres 1966 durch parlamentarisches Intrigenspiel in sein Krisenende taumelte, wettete er mit dem damals zum Verfechter einer großen Koalition gewandelten CSU-Chef Strauß (der auf sein Comeback wartete), daß diese Koalition zwischen Rot und Schwarz nicht länger dauern werde als seine eigene Regierungszeit. Erhards Prophezeiung darf zwar nicht mit dem Kalender gemessen werden, stimmt aber als Realität überein. Auch das Kabinett von Kiesinger und Brandt taumelt in die letzte Runde. Der Wahlkampf in Bonn, an der Ruhr, in München oder den
902 Menschen sind in Oberösterreich erkrankt. An einer Epidemie, die man in einem mitteleuropäischen Land nicht mehr anzutreffen meinte. Zwar ist die Erkrankungsserie relativ harmlos, vergleicht man sie mit den Seuchen des Mittelalters, ja noch des ausgehenden 19. Jahrhunderts, als die Cholera auch in Österreich wütete. Aber alles in allem hat die Paratyphus-Epidemie klargemacht, daß wir auch im Jahrzehnt der Herztransplantation vor Ansteckungskrankheiten nicht gefeit sind.
Mit Todor Schiwkovs Besuch in Wien ist der Bann gebrochen, den auch die österreichische Bundesregierung den Staaten des Warschauer Paktes auferlegt hatte. Nach Schiwkov wird nun auch Ungarns Regierungschef Fock nach Wien reisen. Der Wermut bei den Diners schmeckte zwar den Bulgaren nicht immer, besonders dann, wenn Gastgeber Dr. Klaus unmißverständlich Tadel an die Bulgaren austeilte — aber das Ziel der Politiker aus Sofia war offensichtlich, sich und Ihr Land aus einer Boykottposition her-auszumanövrieren. Das ist ihnen bislang mit diesem Staatsbesuch, der eine Erwiderung der Visite von
Während Nixon seine Tour d'horizon absolviert, wartet der Kreml gespannt auf die Resultate dieses euro- . päischen Primärengagements des neuen Herren im Weißen Haus. Die Haltung der Sowjets zu Nixon war bisher erstaunlich widersprüchlich. Im Wahlkampf als „Kalter Krieger“ beschimpft, war deutlich, daß die Sowjets lieber das kleinere Übel Hubert Humphrey als Partner wünschten. Dann, als Nixon gewählt war, gratulierten sie und machten „Triicky Dickie“ Avancen. Sie sahen es nicht ungern, als aus den angekündigten amerikanisch-chinesischen Gesprächen, die unmittelbar nach Nixons
Rund ein Zehntel des österreichischen Bruttonationalproduktes wird jährlich in den öffentlichen Haushalten Österreichs für Investitionen und den laufenden Sachaufwand ausgegeben. Im Jahr 1966 beliefen sich diese Ausgaben auf mehr als 24 Milliarden Schilling. Davon entfielen 9,1 Milliarden Schilling auf den Bund, 3,2 Milliarden Schilling auf die Gemeinden (einschließlich Wien). Der Großteil dieser Aufgaben fällt in den Geltungsbereich der Vergebungsvorschriften des Bundes und der anderen Gebietskörperschaften.Dies geht aus einer soeben im Institut für angewandte Sozial- und
Der Staute quo an Österreichs Grenzen ist beendet. An 914 Kilometer Grenze stehen Sowjets, die in Budapest 1956 und nunmehr in Prag ihre Fähigkeit zur Intervention bewiesen haben. Zwei von sechs Nachbarländern Österreichs waren in den letzten Jahren Opfer einer militärischen Okkupation, ein drittes mobilisiert derzeit, um gegen eventuelle Angriffe geschützt zu sein. Von einem Partner, nämlich Italien, trennt uns ein latenter Konflikt, der zeitweise unseren eigenen Grenzschutzeinsatz notwendig machte. Die Bundesrepublik' Deutschland ist für West und Ost Spannungsfeld der Weltpolitik,
„Die Entwicklung der Löhne führte ab 1961 zu einer Verringerung der Gewinnmargen.“Dieser Satz stand im Bericht des Beirates für Wirtschafts- und Sozialfragen, der der Paritätischen Kommissdon in seiner letzten Sitzung vor dem Sommer vorlag.Ist es daher verwunderlich, wenn die Unternehmer derzeit Zurückhaltung üben, wenn heue Forderungen der Arbeitnehmerschaft an sie herangetragen werden?Aber die Arbeitnehmerorganisationen, voran die Gewerkschaften, haben sich für einen anderen Weg entschieden, den sie international gehen wollen — und auf dem sie zwar Zurückhaltung auf dem
Am Präsidium der Semmeringtagung der Volkspartei kursierten kleine Zettel: Meldungen von den Ereignissen an der Hochschule in Wien, Zwischenberichte vom Vorbe- reitunigsstand der geplanten Demonstration.So erhielten die 85 Abgeordneten der Regierungspartei im Nationalrat und die Bundesräte, die Landeshauptleute und Landesparteisekretäre sowie die Mitglieder und Referenten der Bundesparteileitung Anschauungsunterricht von der rebellischen Jugend, deren Widerstand gegen erstarrte Formen des Establishments zwar nicht allzu überzeugend, aber dennoch angsterregend für so manchen war.Freilich,
Vor kurzem gab es im österreichischen Fernsehen eine mehr als ein- stündige Diskussion über das Thema „Österreich — immer noch Land der Musik?”, die — das sei vorweggenommen — die gestellte Frage nicht nur nicht klären half, sondern als ein Beitrag zu ihrer negativen Beantwortung gewertet werden muß. Geleitet wurde das konfuse, meist zwei- und dreistimmig geführte Gespräch vom Betreuer der Gesellschaft für Literatur. Teilnehmer an dieser Diskussion waren vor allem Veranstalter und Produzenten von Musik: der Direktor der Volksoper, der Generalsekretär des Könzert- hauses,
„Es ist völlig ausgeschlossen, Defizite in der Größenordnung von 16 Milliarden Schilling in den beiden nächsten Jahren zu finanzieren.”So beginnt im „Koren-Plan” der Abschnitt „Grundsätze zum Budget 1969.”Und obwohl jeder Einsichtige weiß, daß Opfer gebracht werden müssen, wenn der Staat nicht durch eine verfehlte Budgetpolitik Arbeitsplätze und die Sicherheit des Eigentums gefährden will, sagt noch niemand, wo die Einsparungslawine am schwersten treffen wird.Es ist bekannt, was die Ursachen des „Budgetloches” von 16 Milliarden sind: infolge Abschwächung der
Zwei wichtige Ereignisse der Innenpolitik haben am 24. März stattgefunden: Im östlichsten Bundesland und in der zweitgrößten Stadt der Republik wählten 332.098 Österreicher. Sie wählten zwar nur einen Landtag und einen Gemeinderat, spiegeln aber damit in gewissem Maße doch einen Trend der österreichischen Bevölkerung wider. Denn alle in den letzten Monaten durchgeführten Meinungsumfragen haben ergeben, daß der Wähler lokale Gesichtspunkte wohl berücksichtigt, aber seine Parteipräferenz doch auch aus der Bundespolitik ableitet.Resümee aus sechs WahlenZieht man das Resümee aus
Die Verlangsamung des Wirtschaftswachstums in Österreich findet ihren Niederschlag nicht nur in den mehr oder weniger konkreten Analysen der Presse und der anderen Massenmedien, sondern vor allem auch in der Sozialpsyche der breiten Öffentlichkeit. Es hat den Anschein, als ob auch in Österreich ein Grundgesetz der kapitalistischen Konjunkturphasen zum Tragen gekommen wäre; erst die Warnungen vor der Rezession, dann die Auseinandersetzungen über dieses Thema im Parlament, schließlich die Berichte über wirtschaftliche Probleme in den Nachbarländern haben dazu geführt, daß die Stimmung
Als der ÖVP-Nationalratsklub im Dezember den Vorschlag machte, eine parlamentarische Kommission in westeuropäische Länder zu schik- ken, um die Formen der Parlamentsübertragungen in Rundfunk und Fernsehen zu studieren, hoffte man auf eine Königsidee.In der Zwischenzeit haben aber die anderen Parlamentsfraktionen diesen Vorschlag abgelehnt. Treffendes Argument: Es ist sowieso bekannt, wie die Übertragungen anderswo gehandhabt werden, und man müsse angesichts der Budgetnot nicht Gruppenreisen arrangieren.So wird sich die Präsialkonferenz des Hohen Hauses in den nächsten Wochen wieder